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Von der Ego-Ökonomie zum Eco-System: Der Impact des Tourismus

Die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg hat zum Thema „Postwachstum“ im Juli ihren Tourismustag 2023 veranstaltet. Dort hat der österreichische Zukunftsforscher Andreas Reiter, Inhaber des ZTB Zukunftsbüros, einen Impulsvortrag mit dem Titel „Re.Think. Wie Tourismus die Welt besser macht“ gehalten.

Interessant, fand Tourismusscout Thomas Askan Vierich, und hat nachgefragt:

Thomas Askan Vierich: Herr Reiter, Sie haben in Baden-Württemberg gemeinsam mit Experten über Postwachstum im Tourismus nachgedacht. Sie haben von „intelligenter Verschwendung“ gesprochen. Wenn man Postwachstum, also eigentlich Degrowth, Schrumpfen, im Tourismus ernst nimmt, wird dann Tourismus zu einem Luxusprodukt?

Andreas Reiter: Die Tendenz haben wir in Ansätzen schon jetzt. Wir sehen, dass sich eine ganz starke Segmentierung zwischen oben und unten entwickelt. Das hat sich durch die Krisen verstärkt. Aber dennoch glaube ich, dass der Tourismus immer ein ganz wichtiges Geschäftsfeld bleiben wird. Da mache ich mir jetzt keine Sorgen. Es geht mir im Wesentlichen darum: Wir brauchen Wachstum. Nur welche Art von Wachstum wollen wir und was passiert mit den Gewinnen? Stichwort: gemeinwohlorientierte Nutzungen, Mitarbeiterbeteiligung. Das sind aus meiner Sicht die zentralen Fragen für die Zukunft.

Sie sagen auch, und das haben mir auch schon andere Experten erzählt, dass wir wegmüssen von den großen Plattformen hin zur Direktbuchung, weil dort viel an Gewinnen verloren geht. Vielleicht gar nicht unbedingt beim Hotel selbst, sondern bei der Destination. Da sind die Destinationen oder vielleicht auch die Österreich Werbung aufgerufen, Systeme zur Verfügung zu stellen, die die Plattformen ersetzen können. Wir haben ja in Österreich eher schlechte Erfahrungen damit gemacht. Ist das heute realistischer?

Das ist heute technisch leichter, weil wir uns stärker auf dieses Open-Data-System hinbewegen und weil wir verstärkt eine neue Definition von Destination haben. Eine Destination ist ja nicht mehr nur Vermarkter, sondern immer stärker auch ein Manager der Ökosysteme, in dem sich unterschiedliche Akteure bewegen. Von daher ist das Bewusstsein für Open Data massiv gestiegen. Die Destinationen brauchen ein Open-Data-System, um all diese Daten zusammenzuführen. Letztlich stärkt das die Rolle der Destination. Und die touristischen Akteure haben inzwischen gelernt, sich lieber in die Hand einer Destination zu begeben, die sie ja selbst darstellen, als in die einer Plattform, die weltweit skaliert.

Aber was bedeutet das für die Customer Journey in der Suchphase? Dort stolpert man ja eher über Booking als über eine einzelne Destination. Geht das überhaupt technisch, finanziell und reichweitenmäßig, dass der Reisende wirklich zuerst die Ötztal-Plattform sieht und nicht Booking oder HRS?

Da wird sich die Intelligenz eines Destinationsmarketings anstrengen müssen und auf eine starke Marke setzen. Und die gibt es ja in Österreich. Da haben wir einen enormen Wettbewerbsvorteil. Wer sich für Skifahren interessiert, kommt um Tirol nicht herum und kennt Sölden oder Arlberg. Wer sich für Kultur interessiert, kennt Salzburg und Wien. Darauf kann man natürlich aufbauen.

Aber das wäre aus meiner Sicht nur ein Aspekt. Noch wichtiger ist: Wie bewegen wir uns im Ökosystem? Welche Rolle spielt eine Destination? Welche die Akteure? Wir haben ja die Diskussion in allen europäischen Destinationen, dass die herkömmlichen Erfolgskriterien, diese KPIs anhand von Übernachtungen und Ankünften, immer weniger aussagekräftig und relevant sind. Relevant sind die Wertschöpfung pro Gast und die ökologischen Auswirkungen seiner Anreise und seines Aufenthalts. Das heißt seine CO2-Emissionen, soziale Kriterien, Zufriedenheit sowohl des Gastes als auch der Mitarbeiter und Einheimischen. Der Impakt seiner Reise auf die Destination: Das wird immer stärker zu einem Qualitätskriterium.

Zum Beispiel ist Wien ein europäischer Hub für Nachtzüge. Das wird man in Zukunft verstärken müssen und damit den Anteil der klimagerechten, klimaneutralen Ankünfte. Wie kommen die Leute zu uns, kommen die mit dem Flieger, dem Auto – oder können die auch mit dem Zug kommen? Diese Dinge werden in Zukunft entscheidend sein.

Zukunftsforscher Andreas Reiter

Was Sie auch gefordert haben, wo ich aber auch das Gefühl habe, dass sich die Touristiker da noch eher schwertun, ist Kooperation statt Silo-Denken. Das bedeutet ja auch, dass die einzelnen Anbieter sich weniger als Konkurrenten sehen und dass auch konkurrierende Tourismusverbände zusammenarbeiten müssten.

Ja, da haben Sie Recht. Andererseits glaube ich, dass die Not beziehungsweise die vielen Krisen uns in diese Richtung zwingen. Ich kenne etliche Destinationen in Deutschland und auch woanders, wo zum Beispiel drei Hotels gemeinsam eine Ausbildung für Lehrlinge gestalten. Da ist der mal ein Jahr bei dem, das zweite Jahr bei dem.

Das kenne ich auch von den Private City Hotels, die machen das schon seit Jahren.

Ich kenne ein Beispiel von der Nordsee, also einer klassischen Feriendestination, aber da gibt es sicher noch viele andere. Der Mitarbeitermangel zwingt uns zu neuen Formen der Kooperation, einen Mitarbeiter-Pool zu etablieren, auch saisonübergreifend, zum Beispiel eine Kooperation zwischen Sylt und Arlberg. Oder nehmen Sie die Herausforderung Küche: An bestimmten peripheren Destinationen kann ich das vielleicht nicht immer garantieren. Da macht ein Kitchen-Sharing Sinn: Drei Betriebe gehen zusammen und teilen sich die Bewirtung ihrer Gäste.

Da haben natürlich dann die Ketten einen Vorteil. Die schicken schon heute ihre Auszubildenden und Mitarbeiter rund um die Welt. Auf der Ebene der unabhängigen, mittelständischen Hotellerie müssen da wohl die Verbünde wie Romantikhotels oder eben die Private City Hotels einspringen.

Ich sehe da grundsätzlich ein steigendes Bewusstsein für eine Ressourcenteilung.

Oder ist das nicht doch ein bisserl Wunschdenken?

Es gibt eindeutig Bereiche, wo das schon funktioniert. Nehmen Sie den Energiebereich. Das organisieren viele ländliche Kommunen schon sehr gemeinschaftlich und autark. Die bilden Energiegemeinschaften.

Hotels finanzieren und nutzen ein gemeinsames Blockheizkraftwerk?

Genau. Und ich glaube, dass der wirtschaftliche und der ökologische Druck in diese Richtung noch zunehmen wird. Sie dürfen nicht vergessen, dass alle diese Unternehmen in Zukunft stark unter dem Druck des Reportings, der Berichtspflichten seitens der EU kommen werden, wo sie nachweisen müssen, dass sie ökologisch und sozial bestimmte Kriterien erfüllen. Das bedeutet auch, dass Unternehmen ihre Buchungen für Konferenzen und Geschäftsreisen ändern müssen. Und das setzt auch den kleinsten Hotelier unter Druck. Wer da nicht mitmacht und nichts anzubieten hat, ist außen vor.

Noch eine provokante Frage. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen „oldschool“. Also meine Erinnerung an einen klassischen Ferienort in den Alpen ist: Die Skischule, das Sportgeschäft, der Liftbetreiber, drei Hotels, zwei Après-Ski-Bars, die tragen alle den gleichen Namen. Einer Familie gehört der halbe Ort, seit Jahrzehnten, Generationen. Keine Rede von Gemeinwohl und Kooperation. Das ist das Gegenteil von dem, was uns beiden vorschwebt. Wie kann man das ändern?

Indem man ein genossenschaftliches Modell entwickelt, an dem unterschiedliche und auch nicht touristische Akteure beteiligt sind. Das ginge auch im Prozess einer Neuübernahme.

Aber kann man das machen, wenn so ein „Liftkaiser-System“ besteht?

Ja, wenn man die bisher üblichen Erfolgskriterien, nämlich Übernachtungen, Ankünfte et cetera, mit anderen Kriterien komplementiert und aufweicht. Corona hat uns gezeigt, dass es immer mehr Menschen um andere Werte geht: Lebenszufriedenheit auch der Inhaber, Mitarbeiterzufriedenheit. Wenn Sie soziale und ökologische Kriterien fokussieren, dann können Sie über diese Kriterien auch andere organisationale Formen finden.

Ich kenne das eher von Destinationen, die in die Krise gekommen sind, also nicht ganz so hoch gelegene Skigebiete, wo die Betreiber pleite gegangen sind und dann die Gemeinde eingesprungen ist und genossenschaftliche Modelle eingeführt hat. Aber das passiert halt immer nur bei Gebieten, die schon große Probleme haben. Das ist natürlich jetzt auch nicht so attraktiv für die Bewohner, wenn sie sozusagen nur als Notgroschen herhalten müssen. Oder müssen wir darauf hoffen, dass der Liftkönig eines florierenden Ortes von sich aus die Gemeinwohl-Wirtschaft in seinem Unternehmen einführt? Oder kann man ihn von Gemeindeseite aus unter Druck setzen?

Ich fürchte da werden einige sehr resistent sein. Sie haben jahrzehntelang mit ihrem System gutes Geld verdient. Gerade in Tirol denkt man doch noch eher konservativ. Deswegen ist dort auch der Vorschlag einer Bettenbegrenzung gescheitert. Anders in Südtirol, dort ist man schon weiter. Aber ansonsten denke ich, dass wir zwei Ebenen haben. Das eine sind die Konsumenten, eine neue, junge Generation, auch die jungen Mitarbeiter, die ebenfalls ein komplett anderes Mindset haben. Denken Sie nur an die Diskussion über unsere Arbeitszeiten, da kommt eine junge Generation, die wir wollen nicht länger als vier Tage in der Woche arbeiten, das wäre vor 15 Jahren undenkbar gewesen. Oder die 17 Nachhaltigkeitsziele, die sind eh schon überall irgendwo drinnen, und das wird so weitergehen, da sehe ich einfach keine andere Möglichkeit, als dass wir uns mit neuen Formen beschäftigen müssen.

Und dann gibt es das virulente Nachfolgeprobleme. Da kann man ja auch die Hoffnung haben, dass der Nachfolger, wenn man einen findet, neue Ideen hat und vielleicht erstmal schrumpft. Aber sehen Sie da auch eine ökonomische Basis, wenn man von sagen wir 100 Zimmer auf 80 geht, dafür größere? Ich reduziere meine Zimmeranzahl, um den öffentlichen Raum im Hotel zu vergrößern, weil die Gäste das jetzt wollen für flexible Gemeinschaftsräume, Co-working zum Beispiel. Kann man damit genauso viel Geld verdienen wie früher mit dem „Massentourismus“?

Wenn man es klug macht und die Gäste dafür findet. Amsterdam hat zum Beispiel eine Limitierung auf 20 Millionen Übernachtungen eingeführt, das war schon vor der Pandemie. Bayern Tourismus hat sich komplett der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichtet. Es gibt einige Destinationen, zum Beispiel Regensburg, dort bilanziert man nach gemeinwohlorientierten Kriterien. Also es bricht schon da und dort auf.

Die Region Wilder Kaiser macht das bei uns auch. Aber was bedeutet das konkret für die Region, wenn ein Tourismusverband Gemeinwohl als sein Ziel ausschreibt?

Natürlich zuerst einmal, dass diese Form des Tourismus sich nach qualitativen und weniger nach quantitativen Kriterien ausrichtet. Ist das ökonomisierbare, monetarisiert? Ja, wenn sie sagen, wir gehen in die Wertschöpfung hinein, wir wollen längere Aufenthaltsdauer mit höherer Wertschöpfung. Das heißt, ich muss natürlich auch mein Angebot verändern.

Längere Aufenthaltsdauer und mehr Wertschöpfung wollen alle im Tourismus…

Ja, aber viele haben keine. Dafür hätten sie ganz klar sagen müssen, wir ziehen eine Latte ein, wir wollen nicht mehr als so und so viele Übernachtungen, Betten und so weiter. In Südtirol gibt es ein Hotel, das heißt, es ist gar kein klassisches Hotel mehr: Das AMA Stay in Alta Badia. Da haben die Nachfolger das Konzept komplett umgestellt. Die bieten jetzt ein Hybridmodell zwischen Workation und Ferien. So etwas kennt man schon gelegentlich aus Großstädten, aber das funktioniert auch in einer Ferienregion.

Die Sommerfrische kommt zurück!

In so einem Hotel kann ich eine Tagung veranstalten, genauso kann ich mich dort zwei oder gleich vier Wochen aufhalten. Ich kann meine ganze Familie mitnehmen und die stören mich nicht beim Arbeiten. Das ist die Zukunft. Viele Firmen bezahlen ihren Mitarbeitern solche Workation-Reisen, weil sie sehen, dass das funktioniert. Auch die Mitarbeiter arbeiten ganz anders motiviert in solchen Betrieben.

Viele Familien können sich einen klassischen Urlaub gar nicht mehr leisten. Das heißt, Papa oder Mama müssen im Urlaub arbeiten. Und das eher nicht bei 45 Grad auf Kreta, sondern bei 25 Grad in einem Alpental oder an einem See.

Und wenn das dann auch noch mit der An- und Abreise ohne großen CO2-Ausstoß funktioniert… Wir müssen weg von der Ego-Ökonomie zum Öko-System. Das ist auch für die Mitarbeiter ein wichtiges Thema. Im Grunde dreht sich alles um die Gestaltung dieses Eco-Systems. In welchem Maß bin ich bereit, in diesem Öko-System als Betrieb, als öffentliche Hand einzuzahlen? Da sind nicht nur Inhaber gefragt, sondern auch Bürgermeister oder Destinations-Managerinnen. Und auf der anderen Seite sind immer mehr Firmen bei Buchungen dazu gezwungen, sich nach Öko-Kriterien zu orientieren. Das schreiben ihnen ihre eigenen Nachhaltigkeitsrichtlinien vor. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Das Wiener Convention Büro hat im letzten Herbst eine große internationale Tagung veranstaltet. Und wer macht das Catering? Die Vollpension, ein Wiener Sozialunternehmen, in dem überwiegend Seniorinnen arbeiten und Kuchen backen. Das war dann wiederum ein wichtiges Kriterium für die Firmen sich auf dieser Tagung einzubuchen.

Am vorhin erwähnten Wilden Kaiser kaufen sie jetzt statt online bei einem Großhändler ihren Bürobedarf beim lokalen Schreibwarengeschäft ein. Support your local heroes!

Amsterdam macht so etwas auch. Die wollen als Stadt eine Zirkulärwirtschaft etablieren. Da muss man bei der Beschaffung anfangen. Da kann man dann nicht mehr im Internet einkaufen.

„Wir brauchen Wachstum. Nur welche Art von Wachstum wollen wir und was passiert mit den Gewinnen?“

„Wie bewegen wir uns im Öko-System? Welche Rolle spielt eine Destination? Welche die Akteure?“

„Relevant sind die Wertschöpfung pro Gast und die ökologischen Auswirkungen seiner Anreise und seines Aufenthalts. Das heißt seine CO2-Emissionen, soziale Kriterien, Zufriedenheit sowohl des Gastes als auch der Mitarbeiter und Einheimischen.“

„Corona hat uns gezeigt, dass es immer mehr Menschen um andere Werte geht: Lebenszufriedenheit auch der Inhaber, Mitarbeiterzufriedenheit. Wenn Sie soziale und ökologische Kriterien fokussieren, dann können Sie über diese Kriterien auch andere organisationale Formen finden.“

„Amsterdam hat zum Beispiel eine Limitierung auf 20 Millionen Übernachtungen eingeführt, das war schon vor der Pandemie. Bayern Tourismus hat sich komplett der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichtet.“

Text: Thomas Askan Vierich
Titelbild: unsplash
7. August 2023
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