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Umweltneutral leben und wirtschaften? Das geht!

Dirk Gratzel setzt alles daran, seine bisherigen Klimaschulden zu begleichen, künftige Wirkungen auf das geringst Mögliche zu reduzieren und Unvermeidliches zu kompensieren, um nachfolgenden Generationen keine Klimaschulden zu hinterlassen. Seinen Weg können auch Unternehmen und ganze Kommunen gehen: Hierbei unterstützt GREENZERO. Einige, wie die Drogeriemarktkette dm, haben in dieser Kooperation bereits umweltneutrale Produktlinien entwickelt. Duisburg Ruhrort plant mit der Kompetenz von GREENZERO vollständig umweltneutral zu werden. Wie Nachhaltigkeit wirtschaftlich wird, erläutert Gratzel im Gespräch.

„Ich musste meine komplette Lebensweise auf den Kopf stellen, um meinen Ressourcenverbrauch zu reduzieren.“

„Leider ist nicht immer das, wovon man intuitiv annimmt, das sei ökologisch besser, wirklich das Bessere.“

„Wenn Sie mich auf ein schönes Gulasch einladen, dann esse ich das, aber aus sozialen Gründen.“

„Alle Deutschen produzieren jährlich Umweltkosten von rund 200 Milliarden Euro. Dafür bezahlen dann nachfolgende Generationen.“

„Für ein Kilo Parmesan brauchen Sie 40-45 Liter Milch! So ein Käse ist also ein ökologisch negatives Konzentrat.“

„Wir arbeiten mit ganzen Unternehmen oder städtischen Quartieren, die umweltneutral werden wollen. Natürlich könnte ein Hotel so etwas auch anbieten.“

Dirk Gratzel, der Unternehmer ohne ökologischen Fußabdruck: Alles fing damit an, dass er seinen persönlichen Fußabdruck ausgleichen wollte. Sein Weg dahin und die öffentlichen Resonanz auf sein Engagement hatten die Gründung mehrerer Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit zur Folge. Unter dem Dach von GREENZERO arbeiten Expertinnen und Experten an wissenschaftlich fundierten Ökobilanzierungen, Reduktions- und Kompensationsmaßnahmen und nachhaltigen Entwicklungsstrategien für Unternehmen, Produkte oder Kommunen. Insgesamt 100 Mitarbeitende, man wächst sehr dynamisch, auch international.

Wie geht es Ihnen? Wie groß ist Ihr aktueller CO2-Fußabdruck?

Gratzel: Sehr gut, danke der Nachfrage. Aktuell liegt mein Fußabdruck bei rund 7 Tonnen im Jahr. Als mein Vorhaben im Jahr 2016 startete, lag mein jährlicher Fußabdruck bei 27 Tonnen CO2. Zur Einordnung: Das ist fast doppelt so hoch wie der nordrhein-westfälische Durchschnitt. Dann habe ich radikal umgedacht und die Entscheidung getroffen, die ökologische Bilanz bis zum Ende meines Lebens auszugleichen. Ich musste meine komplette Lebensweise auf den Kopf stellen, um meinen Ressourcenverbrauch zu reduzieren.

Was ist Ihr Ziel?

Ziel ist es, die angehäuften Klimaschulden auszugleichen und eine grüne Null zu erreichen. Und für mein weiteres Leben ist das Ziel, so nachhaltig wie möglich unterwegs zu sein. Und natürlich möglichst viele Menschen von diesem Weg zu begeistern. Dazu habe ich zunächst die Firmen HeimatERBE – Kompensation und greenzero.me – Ökobilanzierung – gegründet. Mittlerweile bin ich Geschäftsführer von GREENZERO, unter dessen Dach außerdem noch die Innovation City Management steht, die nachhaltige Stadtentwicklung betreiben. Gemeinsam können wir Unternehmen und ganze Kommunen auf ihrem Weg hin zu einer nachhaltigen Zukunft begleiten. Wir möchten einen Unterschied machen. Das ist das Ziel.

Große Ziele. Fangen wir mal von vorne an: Wie genau misst man einen ökologischen Fußabdruck? Rechnet man da die Heizung im Büro dazu?

Sämtliche Handlungen fließen in die Ökobilanzierung zum Beispiel der eines Menschen ein. Es ist quasi eine ökologische Inventur. Also ja, auch das Heizverhalten spielt eine wichtige Rolle. In der eigenen Wohnung, im Büro und auch wenn Sie mich in Ihre Wohnung einladen würden, würde das entsprechend mitbilanziert. Wenn ich bei Ihnen etwas esse oder trinke, beeinflusst das meine Ökobilanz. Weil es meine Entscheidung ist und Teil meiner Physiologie – und meines ökologischen Fußabdrucks. Eine derartige Berechnung ist wahnsinnig komplex.

Wenn ich Ihnen etwas zu trinken anbiete, wäre Wasser besser als Kaffee?

Natürlich. Der Anbau und die Verarbeitung und der Transport von Kaffee belasten die Ökobilanz. Die Verarbeitung von Kaffee erfordert einen extrem hohen Wasserverbrauch, einen hohen „Waterfootprint“. Ein normaler Bürger verbraucht am Tag rund 130 Liter Wasser – fürs Duschen, spülen, waschen und natürlich zum Trinken. Eine Tasse Kaffee hat den gleichen Waterfootprint! Eine Tasse! Mit jeder Tasse Kaffee verdopple ich also meinen Wasserfußabdruck.

Das ist bei vielen Dingen so. Ein T-Shirt verbraucht in der Herstellung rund 5000 Liter Wasser inklusive Anbau der Baumwolle. Hier sollte man unbedingt darauf achten, dass man weniger und nachhaltig konsumiert. In Deutschland kauft jeder Erwachsene zwischen 50 und 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Braucht es die wirklich? Wo kommt das T-Shirt her? Und wie wird es entsorgt? Angesichts des hohen Konsums ist selbst Textilrecycling keine Lösung.

Was passiert denn mit meinen Kleidern in den Kleiderboxen?

Oftmals ist es so: Der beste Teil wird weiterverkauft oder weiterverarbeitet. Ein Großteil wird exportiert und irgendwo auf diesem Planeten gelagert und am Ende thermisch verwertet – schlecht für’s Klima. Das habe ich auch lernen müssen: Leider ist nicht immer das, wovon man intuitiv annimmt, das sei ökologisch besser, wirklich das Bessere. Einer meiner unternehmerischer Partner ist gerade dabei für das Textilrecycling ein besseres Konzept zu entwickeln, wir möchten hier eine Lösung anbieten!

Was hat sich denn in der Veränderung Ihrer Lebensweise als am Effektivsten herausgestellt?

Es gibt drei übergeordnete Bereiche, wo der Fußabdruck am größten ist:

  • Der häusliche Wärme- und Energieverbrauch
  • Mobilität
  • Ernährung

Bei der Ernährung unterschätzen wir alle die enorme ökologische Wirkung, die tierische Produkte haben. Milchprodukte haben teilweise exorbitante Fußabdrücke – viel mehr als Fleisch. Deshalb bemühe ich mich möglichst weitgehend auf tierische Produkte zu verzichten. Wenn Sie mich auf ein schönes Gulasch einladen, dann esse ich das, aus sozialen Gründen. Aber ich kaufe keine tierischen Produkte. Milchprodukte konsumiere ich überhaupt nicht, hier verzichte ich vollständig.

Warum haben Milchprodukte so einen großen Fußabdruck?

Das Halten und Ernähren des Nutzviehs verbraucht irre viele Ressourcen. Die Kuh verursacht Methan, was um ein Vielfaches schädlicher ist als C02. Für ein Kilo Parmesan brauchen Sie 40-45 Liter Milch! So ein Käse ist also ein ökologisch negatives Konzentrat. Und dann gibt es ja nicht nur C02 und Methan. Durch die Überdüngung unserer Böden schaden wir unserem Grundwasser und überdüngen die Weltmeere, unsere Böden versauern und werden zunehmend unfruchtbar.

Kann man das aufhalten?

Ja, wir müssen lernen, nachhaltig und in Balance mit der Umwelt zu leben. Mir geht es immer um eine ganzheitliche Perspektive: Diesen Ansatz verfolge ich privat, wie auch wirtschaftlich mit meinem Unternehmen GREENZERO. Ich möchte Nachhaltigkeit greifbar machen, für Privatpersonen, Unternehmen, Kommunen. Wir sprechen von planetaren Grenzen: Welche Leistungsfähigkeit hat die Erde, um unseren unvermeidlichen Fußabdruck abzupuffern? Dazu zählt das Klima: Da haben wir die Grenzen längst überschritten.

Beim Thema Versauerung und Überdüngung oder beim Thema Landverbrauch und bei der Biodiversität sieht es noch viel, viel schlimmer aus. Das bedeutet, wenn ich eine nachhaltige Strategie fahren möchte, dann muss ich auf alle diese Parameter gleichzeitig gucken. Wir brauchen Veränderung. Jeder Tag, den wir in der Transformation warten, wird die künftige Generation mit Zins und Zinseszins viel teurer, ökonomisch wie sozial, zahlen müssen. Also es ist was dran, Ökologie hat einen hohen Preis und einen hohen Wert. Und wir respektieren diesen hohen Wert oft nicht ausreichend.

Was kann denn ein Gastrom oder Hotelier gegen diesen Wahnsinn tun?

Jeder Mensch kann etwas tun, dieses Vorbild versuche ich jeden Tag zu leben. Meine Firma GREENZERO bündelt die Kompetenzen verschiedener Unternehmen und unterstützt auf diesem Weg. Greenzero.ax  erstellt zunächst eine Ökobilanz, dann erarbeiten wir Reduktions- und Kompensationsstrategien mit der Unterstützung von HeimatERBE. Ziel ist immer eine maximale Reduktion des Ressourcenverbrauchs und die Kompensation des Unvermeidbaren ist notwendig, um der künftigen Generation keine ökologischen Schulden zu hinterlassen. Die Innovation City Management unterstützt in diesem Szenario darüber hinaus sogar ganze Städte auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Das Verfahren ist aber grundsätzlich für alle möglich –  für einzelne Produkte, Personen oder ganze Unternehmen. Das gilt auch für Hoteliers und Gastronomen.

Glauben Sie, dass es Gäste gibt, die das interessiert? Oder einen Gastronomen? Kann sich so ein Zugang auch ökonomisch positiv auswirken?

Ja, ja und ja. Viele moderne Unternehmen suchen Möglichkeiten, ökologisch negative Wirkungen und Konsequenzen ihres Wirtschaftens aktiv auszugleichen und das kommt auch bei den Kundinnen und Kunden sehr gut an. Einer unserer ersten Kunden war die Drogeriemarktkette dm. Die haben umweltneutrale Produkte eingeführt und auch so gekennzeichnet. Die wurden sehr präzise ökobilanziert. Dann hat man den Fußabdruck versucht zu reduzieren: durch den Austausch von Ingredienzien und der Verpackung. Das hat den Fußabdruck schon mal halbiert. Den Rest kompensiert dm mithilfe von HeimatERBE, eins der GREENZERO-Unternehmen, das darauf spezialisiert ist ökologisch degradierte Flächen aufzuwerten.

Wir renaturieren Brachflächen, ehemalige Tagebaugebiete und so weiter. So sorgen wir für einen echten Ausgleich der Ökobilanz und für ein grundlegend neues Verhältnis von Ökonomie und Ökologie und verkaufen den Umweltwert, den wir auf den HeimatErbe Fläche produzieren an dm, damit sie Kompensationspotenziale für nicht vermeidbare negative Umweltwirkungen gewinnen. Die dm-Produkte sind hervorragend angenommen worden, sogar über den Erwartungen.

Die Umweltkosten sind ja vergesellschafte Kosten.

Natürlich. Alle Deutschen produzieren jährlich Umweltkosten von rund 200 Milliarden Euro. Dafür bezahlen dann nachfolgende Generationen. Wenn Sie aber ein umweltneutrales Produkt kaufen, belasten Sie niemanden. Deshalb wird das von allen Umweltorganisationen und verschiedenen anderen sozial eingestellten Organisationen schon lange gefordert.

Könnte ein Hotelier das auch so machen? Umweltneutrale Nächtigungen anbieten? Oder ein Gastronom umweltneutrale Gerichte?

Grundsätzlich ja. Wir arbeiten mit ganzen Unternehmen oder städtischen Quartieren, sogar Regionen, die umweltneutral werden wollen. Natürlich könnte ein Hotel so etwas anbieten – vermutlich sogar mit nur einem geringen Preisaufschlag. Mit einer strikten Reduktion des Ressourcenverbrauchs und Kompensation des Unvermeidbaren ist das möglich, ja.

HOGAST-Symposium 2022:

Dr. Gratzel ist einer der 4 Top-Speaker beim HOGAST-Symposium 2022. Weitere Infos zum Event: https://events.hogast.at/symposium2022/

Foto: Dr. Dirk Gratzel (privat)
Autor: Thomas Askan Vierich
13. September 2022
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