Mit Jänner 2024 ist Ingrid Schneider als Geschäftsführerin des Verbandes der Tiroler Tourismusverbände (VTT) gestartet. Zusammen mit dem VTT-Vorstand – an der Spitze Obmann Benjamin Kneisl – wird mit dem neuen Ausbildungsprogramm für regionale NachhaltigkeitskoordinatorInnen Neuland betreten. Gelegenheit mit den beiden Tourismusprofis über weitere Herausforderungen, Chancen im (Tiroler) Tourismus und zukunftsfitte UnternehmerInnen zu sprechen. Die Fragen stellte Tourismusscout Thomas Askan Vierich. Teil 1 des Gesprächs.
Liebe Frau Schneider, erstmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Aufgabe. Wo liegen momentan Ihre wichtigsten Themenfelder?
Ingrid Schneider: Wir sehen eine aktuelle Aufgabe beim VTT darin, die Tiroler Tourismusverbände bestmöglich beim Thema Nachhaltigkeit zu unterstützen. Dafür gibt es ein eigenes Ausbildungsprogramm für unsere NachhaltigkeitskoordinatorInnen. Außerdem arbeiten wir an einheitlichen Standards für die Nachhaltigkeitsberichtlegung. Wir wollen hier eine flächendeckende Status-Quo-Erhebung durchführen. Daraus abgeleitet werden wir Ziele und Maßnahmen definieren. Das ist sicher ein Schwerpunkt des heurigen und der folgenden Jahre – neben unseren Bemühungen um mehr Synergieeffekte zwischen allen Stakeholdern im Tourismus. Da geht es um eine bessere Vernetzung.
Arbeiten Sie da auch mit dieser neuen Online-Plattform zur Erhebung von ESG-Kennzahlen im Tourismus des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, für die sich auch die OeHT einsetzt? Wo man als Betrieb einmalig seine nachhaltigen Bemühungen dokumentiert und so leichter an einen Kredit kommt – auch einen geförderten? Arbeiten Sie daran, Ihre Mitglieder zu überzeugen, dass sie da mitmachen – was ja mit einem gewissen Aufwand verbunden ist?
Ingrid Schneider: Wir bedienen uns unterschiedlichster Datenquellen. Unternehmensdaten unterliegen natürlich einem gewissen Datenschutz und noch sind nicht alle Unternehmen zur Veröffentlichung von Nachhaltigkeitskennzahlen verpflichtet. Aber diese Taxonomie der EU wird kommen und im Zusammenhang mit Krediten werden sukzessive Daten erhoben, denen auch wir uns – sofern öffentlich – bedienen können für unsere Status-Quo-Erhebung. Aber wir greifen auch auf Daten der Landesstatistik Tirol zurück, die Ausweisung von Naturschutzgebieten oder Abfalldaten zum Beispiel. Sie sprechen da ein Thema an, das uns vor große Herausforderungen stellt: Wie kommen wir zu validen Daten zu den vielfältigen Themen der Nachhaltigkeit? Und nicht nur auf Betriebsebene, was schon schwierig genug ist, sondern auch auf Regionsebene.
Herausforderung warum? Weil die Stakeholder und Unternehmen das Thema scheuen? Weil es ihnen zu bürokratisch ist?
Ingrid Schneider: Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Und wir müssen den Leistungsträgern diesen ersten Schritt leichter machen. Wie komme ich denn an all diese Daten über meinen Betrieb? Und wie soll das dann auf regionaler oder Gemeindeebene gehen? Das ist nicht leicht. Aber wichtig.
Wie sieht die Bereitschaft im Ötztal aus bei diesem Thema mitzuziehen, Herr Kneisl? Sind Sie noch im Stadium der Überzeugungsarbeit?
Benjamin Kneisl: Überzeugungsarbeit ist nach wie vor wichtig. Vor allem müssen wir unseren Betrieben klar machen, dass das auch ökonomisch Sinn macht. Wir haben ja in Tirol schon viel im Bereich Nachhaltigkeit erreicht. Jetzt haben wir die Möglichkeit, das in Form dieser Berichte endlich dokumentieren zu können. Aber es muss immer diesen First Mover geben, der vorangeht. Und das sind großteils nicht die kleinen Betriebe, sondern entweder die Destinationen, Verbände oder die Seilbahnbetriebe. Die sind meist der Motor des Tourismus und die müssen vorangehen. Das wurde uns ja nicht von der EU aufs Auge gedrückt, wie manche behaupten, sondern das ist einfach ein Thema, um das wir in Zukunft einfach nicht herumkommen.
Hätten Sie ein konkretes Beispiel eines kleineren mittelständischen Betriebs, für den sich die Umstellung auf Nachhaltigkeit auch ökonomisch rechnet?
Benjamin Kneisl: Das fängt beim regionalen Lebensmitteleinkauf an und geht weiter bei Energiesparmaßnahmen.
Regionaler Einkauf muss ja nicht unbedingt günstiger sein…
Benjamin Kneisl: Aber vielleicht ist der Kunde bereit, mehr für Regionalität zu bezahlen.
Wenn man es dem Gast richtig kommuniziert.
Benjamin Kneisl: Ich glaube wir sind mittlerweile schon soweit, dass die Gäste so etwas honorieren. Generell nachhaltige Maßnahmen. Wenn man das als Betrieb auch lebt. Da geht es neben Lebensmitteln und Energie auch um die Anreise und den Verkehr vor Ort. Oder wie man seine Wäsche reinigt, welche Putzmittel man einsetzt. Wir haben heuer in unserem Hotelbetrieb damit angefangen unsere Gäste zu fragen, ob sie wirklich jeden Tag das Zimmer gereinigt oder ihre Handtücher gewechselt haben wollen.
Wie ist die Reaktion der Gäste?
Benjamin Kneisl: Sehr positiv. Jeder dritte Tag genügt den meisten auch. Solche Details haben im Betrieb große Auswirkungen. Unsere Gäste verstehen da auch die Zusammenhänge.
Bekommen Ihre Gäste dafür etwas?
Benjamin Kneisl: Ja, einen kleinen Bonus, beim Essen zum Beispiel. Wichtig ist auch die soziale Nachhaltigkeit, für unsere MitarbeiterInnen aus der Region.
Hilft es bei der Mitarbeitersuche, wenn ein Betrieb auf Nachhaltigkeit setzt?
Benjamin Kneisl: Unbedingt. Früher war es für den Lebenslauf wichtig mal bei einem Fünfsterne-Betrieb gearbeitet zu haben. Das hat sich geändert. Jetzt möchte man vielleicht lieber bei einem Betrieb arbeiten, der bewusst auf Nachhaltigkeit setzt. Mit dem Thema Nachhaltigkeit kann man nicht nur Gäste binden, sondern auch MitarbeiterInnen.
Nachhaltigkeit macht einen Betrieb attraktiver?
Benjamin Kneisl: Jeder möchte in einem Betrieb arbeiten, der sich zukunftsfit aufstellt.
Nachhaltigkeit macht zukunftsfit?
Benjamin Kneisl: Absolut. Das ist in vielen Betrieben schon fest verankert. Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin möchte in einem Betrieb länger als eine Saison arbeiten.
Ingrid Schneider: Da geht es auch ganz viel um Werte und Haltung. Wenn ein Betrieb das vorlebt, ist er gerade für die Generation Z attraktiv, der die Themen Sinnstiftung und sinnvolle Arbeit besonders wichtig sind. Da wird man um nachhaltige Unternehmenswerte und -haltung gar nicht mehr herumkommen.
Was tue ich, wenn ich dieses Mindset als Unternehmer noch nicht habe? Muss ich dann einfach umlernen?
Benjamin Kneisl: Ich glaube, es geht ums Überleben. Es heißt ja Unternehmer, nicht Unterlasser. Ökonomie und Ökologie schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.
Wie kann man sich in Tirol energieautark machen? Windräder sind da vermutlich nicht das Mittel erster Wahl, oder? Solarenergie? Wasserkraft? Vielleicht auch Geothermie?
Benjamin Kneisl: Wasser haben wir aktuell noch genug. Wind würde auf den Gipfeln wehen. Aber Windkraft ist in Tirol nicht ökonomisch darstellbar. Man muss ja Stromleitungen haben. Wie wollen Sie die auf einen Gipfel verlegen? Das ist im Flachland leichter. Optische Gründe sind da eher nebensächlich. Außerdem muss der Wind möglichst konstant wehen. Das ist in den Bergen nicht der Fall. Der Sonnenertrag ist in den Bergen dagegen höher als im Flachland. Unsere Bergbahnen in Sölden haben gerade eine neuartige Anlage auf dem Tiefenbachgletscher im Testbetrieb. Die arbeiten mit Sonnenkollektoren, die ihre Fächer in alle vier Himmelsrichtungen ausrichten können. Das gibt es auch am Pitztaler Gletscher. Bei der Wasserkraft haben wir auch sehr viele Möglichkeiten.
Und Sie haben vollkommen recht: Wir müssen uns im europäischen Stromnetz wirklich unabhängiger machen. Dazu kann sehr viel beitragen. Die Energiespeicherung ist gar nicht das große Problem. Obwohl unser Landesenergieversorger immer von Stromüberkapazitäten im Sommer spricht, weil wir dann sehr viel Wasserkraft in den Tälern nutzen können. Vielleicht hilft uns hier das Thema Wasserstoff. Die Arabischen Emirate machen uns das gerade vor…. Diese Chance könnten wir auch bei uns nutzen!
Ingrid Schneider: Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Energieeffizienz. Daran arbeiten unsere Seilbahnen gerade sehr intensiv.
Wie genau?
Ingrid Schneider: Ältere Liftanlagen werden durch effizientere neue ersetzt. Die Nutzung von Photovoltaik, Wärmerückgewinnung, um sie zum Beispiel in der Berggastronomie zu nutzen. Außerdem verwenden die Tiroler Seilbahnen ausschließlich zertifizierten Ökostrom und können dadurch klimaneutral wirtschaften.
Trotz aller Schneekanonen, die beim fortschreitenden Klimawandel immer mehr Energie einsetzen müssen?
Ingrid Schneider: Die klimatischen Herausforderungen treffen uns alle. Das ist uns in Tirol sehr bewusst. Gott sei Dank haben wir die Möglichkeiten dem mit technisch produzierten Schnee entgegenzuwirken. Hier überschätzt man gern den tatsächlichen Strombedarf. Die Schneekanonen benötigen nur etwa 1 Prozent des gesamtösterreichischen Energiebedarfs.
Wasser braucht man auch. Und das wird zunehmend ein knappes Gut…
Ingrid Schneider: Das bleibt aber im Kreislauf! Es wird nur gebraucht, nicht verschwendet. Wir verwenden nach dem Tiroler Reinheitsgebot wirklich nur Wasser und Luft zur technischen Schneeerzeugung – keine chemischen Zusätze.
Sie glauben also, dass Sie auch in zwanzig Jahren noch Skitourismus in Tirol anbieten können? Obwohl überall immer mehr Skigebiete aufgrund Schneemangels schließen müssen? In Frankreich sind das bereits 30 bis 40 Prozent der niedriger gelegenen Skigebiete. Dafür werden Millionen in die höher gelegenen Topskigebiete investiert. Ist das in Tirol auch so?
Ingrid Schneider: Wir sind zuversichtlich, dass der Ski- und Wintertourismus auch in Zukunft die tragende Säule des Tourismus in Tirol bleiben wird. Aber nicht für alle Höhenlagen gleichermaßen. Und auch die Zeiträume verschieben sich.
Wie waren denn die Bedingungen in den Semesterferien Anfang Februar? Bei uns in Wien haben wir Mitte Februar gerade knapp 20 Grad….
Ingrid Schneider: Man konnte überall Skifahren, weil wir uns gut darauf vorbereitet haben, schon im Herbst. Das ist für uns ganz wichtig – vor allem in Hinblick auf die Kommunikation mit unseren Gästen. Aber unser Winterangebot wird diverser. Zum Beispiel wird Winterwandern immer beliebter. Schon heute sagt jeder zweite Gast in Tirol, dass er neben dem Skifahren auch wandern gehen möchte. Natürlich ist und bleibt Skifahren die absolute Top-Priorität unserer Gäste. Daneben wird aber auch das kulinarische Angebot immer wichtiger oder Wellness. In den urbaneren Räumen sind die Adventsmärkte ganz wichtig. Auch Kulturveranstaltungen helfen dabei, die Saison zu verlängern.
Benjamin Kneisl: Bei den niedergelegenen Skigebieten setze ich als Techniker auch auf den technischen Fortschritt. Gerade im urbanen Bereich sind die kleineren Skigebiete von existenzieller Bedeutung. Dass Skifahren dort zugänglich und leistbar bleibt. Das gilt auch für unsere Herkunftsmärkte in Deutschland und den Niederlanden, dass dort die Barrieren nicht zu hoch werden und der Skisport nicht exotisch wird. Es ist wichtig, dass die Kinder weiterhin das Skifahren erlernen können. Das sind unsere Gäste der Zukunft.
Ist das noch so? Oder haben Sie Angst, dass da etwas wegbricht?
Benjamin Kneisl: Also momentan mache ich mir da angesichts der positiven Resonanz – aktuell zum Beispiel vieler holländischen Krokusferien-Gäste – keine Sorge. Auch im hinteren Ötztal waren in den Winterferien die Skischulen rappelvoll mit Kindern. Der Skiurlaub ist und bleibt einer der schönsten Urlaube. Man bewegt sich an der frischen Luft – kombiniert mit Familie und Kulinarik. Die Faszination Alpen und Schnee bleibt attraktiv.
Ist aber auch einer der teuersten Urlaube, die man machen kann…
Benjamin Kneisl: Das kommt immer darauf an! Wenn ich aktiv Sport treiben möchte, brauche ich immer Ausrüstung. Auch das Kiten am Meer ist teuer…
Und eine Liege mit Sonnenschirm kostet dort mittlerweile auch 25 Euro oder mehr am Tag…
Benjamin Kneisl: Es kommt immer darauf an, wie man seinen Urlaub gestalten möchte… Skifahren ist immer noch eine sehr emotionale Sache. Und deshalb beliebt. Und deshalb zahlen die Gäste gerne dafür.
Hier geht es zu Teil 2 des Interviews.
Titelbild: Verband der Tiroler Tourismusverbaende Text: Thomas Askan Vierich
15. März 2024
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