Stefan Gössling forscht am Western Norway Research Institute über Mobilität und Tourismus und hielt auf der Green Tourism Conference der ÖHV einen Vortrag über Probleme und Herausforderungen des Tourismus in Fragen der Nachhaltigkeit. Die Lage ist hoch problematisch, aber nicht hoffnungslos. Teil 2 des Interviews mit Tourismusscout Thomas Askan Vierich.
Thomas Askan Vierich: Österreich ist sehr abhängig vom deutschen Markt. Was passiert, wenn die Deutschen eines Tages ihre Liebe zu Österreich verlieren, wenn die Jungen keine Lust mehr auf Tirol haben? Dann bricht hier alles zusammen. Das ist auch ein Grund, warum man die Fernmärkte bespielt, damit man das ein bisschen abfedern kann. Aber man könnte stattdessen ja zum Beispiel den französischen Markt stärker ansprechen, gerade im Wintertourismus. In Frankreich ist das Skifahren wesentlich teurer als bei uns. Trotzdem sieht man selten Franzosen in österreichischen Skigebieten, jedenfalls seltener als Holländer oder Skandinavier.
Stefan Gössling: Die Franzosen haben es natürlich trotzdem weiter als die Schwaben oder Bayern. Und es gibt die Sprachbarriere. Dennoch kann ich wirklich gar keine Gründe sehen, weiter für viel Geld die Fernmärkte zu bewerben. Zum einen kommen die ohnehin aus bestimmten Gründen nach Österreich, und die muss man nicht weiter bewerben, die sind sehr, sehr dominant in der Vorstellung in diesen Märkten, also Salzburg zum Beispiel mit der Musik. Sound of music, das ist einfach in den amerikanischen Köpfen drin als großes Thema. Oder Mozart bei den Asiaten. Die kommen so oder so, meiner Meinung nach. Und wir haben diesen immer größeren Druck auf Europa, weil die ganze Welt unsicher wird. Und dieses Sicherheitsthema ist groß, gerade auch in amerikanischen Köpfen. Ich sehe nicht, wo die dann alternativ hinfahren würden.
Die Karibik oder Lateinamerika ist nicht sicher?
Gerade die Karibik ist ein großes Problem. Die US-Medien berichten unentwegt über Vergewaltigungsfälle und Schießereien auf Jamaika oder in Mexiko, also das verunsichert die US-amerikanischen Reisenden. So etwas hören sie nicht aus Frankreich, Italien oder Österreich.
Man hofft hierzulande auch auf die Luxusreisenden, auf die neue Mittel- und Oberklasse in Asien, gerade in Wien und Salzburg…
Ist mehr Geld immer automatisch besser? Ich erzähle immer gerne die Geschichte von einem Club, wo man eine Flasche Champagner kaufen kann für 248.000 Euro. Und die wird gekauft. Einfach weil man es kann. Vier von diesen Flaschen stellen das Äquivalent zum Lebenszeiteinkommen eines durchschnittlichen Österreichers dar. Das ist natürlich eine tolle Gewinnmarge für den Club. Aber sollten wir uns nicht auch fragen, wo dieses Geld herkommt? Und wir müssen uns im Klaren sein: Geld hat auch einen ökologischen Fußabdruck, es ist mit Emissionen verbunden, Geld zu produzieren. Geld unterwandert und zerstört auch Demokratien. Deswegen bin ich der Meinung, dass der nächste Schritt für uns alle sein muss zu überlegen, wo kommt das Geld eigentlich her und wie kriegen wir sauberes Geld in unser System? Das idealerweise dann nicht bei irgendwelchen Investoren in den USA landet, die zum Beispiel Booking.com oder Google besitzen. Wir sollten versuchen, das Geld im Land zu halten, damit das denen zugute kommt, die es ja auch erst mal erwirtschaften, nämlich den vielen kleinen Betrieben, die jetzt einen großen Teil von ihren Umsätzen an irgendwelche Großen weitergeben müssen, damit sie im Wettbewerb bestehen können.
Viele sind eben von den großen Buchungsplattformen abhängig. Können wir uns davon unabhängiger machen?
Im Prinzip ist es einfach. Wir haben ja diese vielen nationalen Visit-Plattformen. Visit Sweden und so weiter.
Österreich hat schlechte Erfahrungen gemacht, solche Plattformen aufzubauen …
Das ist mir unerklärlich, denn wir haben alle möglichen Sorten von Plattformen, die funktionieren. Ich habe auch mit Entwicklern darüber gesprochen, die sagen, das ist überhaupt kein Problem, das zu spiegeln. Im Prinzip ist so eine Plattform ja nichts anderes als eine Verknüpfung von verschiedenen Daten, also wann welche Verfügbarkeiten bestehen. Ich war auch mit meinem eigenen Betrieb mal Teil von Booking und ich kann sagen, wenn man das Backend mal gesehen hat von dem Ganzen, dann ist man erstaunt, wie schlecht das wirklich jahrelang funktioniert hat. Also das ist mit Sicherheit möglich, so was zu bauen mit den entsprechenden Mitteln, und man könnte das unter den Visit-Plattformen laufen lassen. Über so eine nationale Plattform bietet man dann das Gleiche an wie die kommerziellen Plattformen, aber vielleicht mit einer Provision von 5 Prozent statt 15 oder mehr. Vor allen Dingen auch unter Einbeziehung der Betriebe, die mit entscheiden können, wie das aufgebaut sein soll. Jetzt haben wir ja null Einfluss auf die Inhalte zum Beispiel. Ich denke, so eine Plattform wäre sehr schnell sehr erfolgreich. Wir müssen nicht alles den Amerikanern überlassen, ganz sicher nicht.
Oder bald den Chinesen und Indern… Sie haben in Ihrem Vortrag gezeigt, dass die Dekarbonisierung im Tourismus bei der Übernachtung und Bewirtung relativ einfach ist. Also die Betriebe könnten da sehr schnell sehr nachhaltig werden und sind es teilweise auch schon. Aber das Problem ist immer noch die Mobilität. Die An- und Abreise haut die Zahlen kaputt. Haben sie irgendwelche Ideen, wie man das ändern kann?
Ich habe das gerade durchgerechnet für nachhaltiges Reisen in Deutschland, also eine Anreise mit dem Taxi zum Zug, dann Zug und dann nochmal mit dem Taxi zur Destination. Da kommen vergleichsweise lächerliche Summen an Emissionen zusammen. Man kann mit zehn Kilo CO2 quer durch Europa reisen, wenn man den Fernverkehr nutzt, der mit Ökostrom betrieben wird.
Ohne Auto…
Ja, sobald das Auto involviert wird, haben wir deutlich höhere Emissionen.
Auch wenn die ganze Familie im Auto sitzt?
Wir kommen im Schnitt auf 160 Gramm CO2 pro Kilometer pro Pkw. Wenn da vier Leute drin sitzen, kommen wir natürlich auf 40 Gramm runter pro Person pro Kilometer. Und wenn man dann 1000 Kilometer fährt, dann ist man bei 40 Kilo pro Person. Das ist immer noch das Vierfache von dem beim Reisen mit dem Zug, aber damit können wir absolut leben.
Was ist mit dem Fernbus? Ich habe gelesen, dass Fernbusreisen sehr günstig bei den Emissionen sind.
Also im deutschen Fernbusverkehr kommen wir auf 37 Gramm Co2 pro Kilometer, wenn er voll besetzt ist. Das ist etwas weniger als in einem voll besetzten Pkw. Aber wie oft sind die Busse vollbesetzt? Im Gegenteil, man kann dort für wenig Geld den Sitz neben sich dazu buchen. Dann verschlechtert sich die Klimabilanz natürlich.
Sie haben für Norwegen ausgerechnet, dass der Tourismus dreimal mehr zu den Emissionen beiträgt als zum Bruttoinlandsprodukt. Ist das in Österreich auch so?
Nein, da steht Österreich deutlich besser da, weil in Norwegen aufgrund der peripheren Lage viel mehr Ankünfte mit dem Flugzeug erfolgen. Da hat es Österreich mit seinen vielen Nahmärkten deutlich besser. Und wir können auch feststellen, dass in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern schon unglaublich viel richtig gemacht wird und das wird auch weiter vorangetrieben. Wir sehen, dass die Emissionen runtergehen und viele Akteure versuchen auch nach vorne zu denken.
Und wir führen momentan eine heiße Diskussion darüber, ob wir uns aus Rücksicht auf das Klima überhaupt noch einen Wintertourismus leisten können oder sollen, weil der eben nicht nachhaltig ist. Über die Frage der Beschneiung haben wir ja schon kurz gesprochen. Ist die Beschneiung rein klimatechnisch wirklich so schlimm?
Das ist alles relativ. Die Zahl, die ich im Kopf habe, ist, dass dafür am Tag pro Skifahrer ungefähr 20 Kilowattstunden Strom verbraucht werden. Im österreichischen Strommix entspricht das etwa zehn Kilo Co2. Dazu kommt natürlich noch die Anfahrt mit dem Auto. Wenn jemand 20 Kilometer hin und zurück fährt, um überhaupt erst mal zur Talstation zu kommen, dann verdoppelt sich das vielleicht auf 20 Kilo. Das ist natürlich schon eine Größenordnung, und da müssen wir runter von.
Im Sommer ist diese Bilanz wesentlich günstiger.
Ja, klar, wenn die Beschneiung wegfällt, dann sparen wir die Hälfte an Emissionen oder mehr. Da werden ja auch enorme Mengen an Wasser zu Schnee gemacht. Und das führt wieder zu anderen Problemen.
Es sähe schon anders aus, wenn der Strom vor Ort ökologisch erzeugt werden könnte, und das gibt es ja schon vereinzelt.
Genau das ist der Weg raus. Natürlich. Also angenommen, der ganze Strom für die Schneeproduktion würde nur noch mit Wind- oder Wasserkraft erzeugt, dann würden die 10 Kilo Emissionen natürlich wegfallen. Wir müssen allerdings bedenken, dass erneuerbarer Strom gerade extrem nachgefragt wird und das wird sich in Zukunft noch verschärfen. Die Frage wird sein: Wie viel Strom haben wir, und wer darf ihn nutzen, zu welchem Zweck?
So viel Ökostrom kann man gar nicht erzeugen, wenn die ganzen E-Autos rumfahren und Wärmepumpen in jedem Haus stehen, die brauchen alle Strom. Sie haben in Ihrem Vortrag auch für eine Umweltzertifizierung im Tourismus geworben und dabei die Türkei als Vorbild genannt.
Das läuft da von staatlicher Seite und führt dazu, dass quasi jeder touristische Betrieb zertifiziert ist.
Ist das mit dem EU-Siegel vergleichbar? Oder ist das Greenwashing?
Die Kriterien sind durchaus vergleichbar. Die Idee dahinter ist, dass man mit einer Umwelt-Zertifizierung etwas lernt über seinen Betrieb. Die meisten sehen das leider eher als Problem: Oh je, jetzt muss ich eine Zertifizierung machen. Aber sie vergessen dabei, dass durch die Zertifizierung sehr viel Wissen entsteht, wo man Ressourcen sparen kann. Und wir sprechen da nicht von Peanuts. Mit einem besseren Lebensmittelmanagement kann man 40 Prozent an Lebensmitteln einsparen, weil die nicht mehr weggeworfen werden. Das macht sich auch ökonomisch bemerkbar. Oder man merkt, wo man Energie sparen kann. Ich kann zum Beispiel von einem Betrieb am Flughafen von Stockholm erzählen. Die hatten herausgefunden, dass ihr Salamander ununterbrochen lief, obwohl ihn fast niemand benutzte. Der trug aber zu 30 Prozent des Stromverbrauchs bei. Den haben sie jetzt abgeschafft. Eine Zertifizierung trägt auch zur Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei. Es macht eben einen Unterschied, ob der Mitarbeiter rausgeht aus dem Hotelzimmer und die Heizung wieder runterdreht oder das Fenster, das auf Kipp steht, wieder zumacht.
Kernaussagen
„Ich kann wirklich gar keine Gründe sehen, weiter für viel Geld die Fernmärkte zu bewerben.“
„Wir können feststellen, dass in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern schon unglaublich viel richtig gemacht wird und das wird auch weiter vorangetrieben.“
„Wir müssen nicht alles den Amerikanern überlassen, ganz sicher nicht.“
„Das macht eben einen Unterschied, ob der Mitarbeiter rausgeht aus dem Hotelzimmer und die Heizung wieder runterdreht oder das Fenster, das auf Kipp steht, wieder zumacht.“
Zu Teil 1 des Interviews geht es hier.
Interview: Thomas Askan Vierich Titelbild: iStock
2. Juni 2023
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