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Die neue Gastronomie und das gesellschaftliche Umfeld

Pierre Nierhaus, Trend- und Change-Experte für die Hospitality- und Lifestylebranche, bereist regelmäßig die 30 inspirierendsten Metropolen weltweit, zu denen er Trendexpeditionen anbietet. In seinem jährlichen Trendreport teilt er seine Beobachtungen. Wir haben einige wichtige Erkenntnisse aus dem Trendreport 2024/2025 zusammengefasst.

Noch stärker als in den Vorjahren steht die Gastronomie im Fokus seines neuen Trendreports. Denn nicht nur das gesellschaftliche Miteinander und die Form des Arbeitens (New Work) hätten sich grundlegend verändert, sondern auch die Art und Weise, wie wir essen und trinken, erklärt Nierhaus.

Seine Aussage aus dem Trendreport 2023/24 „Food & Beverage ist der Klebstoff der Gesellschaft“ habe sich als wahr erwiesen. „Food & Beverage ist der Stoff, der Menschen inmitten von Unsicherheit und Veränderung zusammenhält“, so der Trendexperte.

Der Blick auf die Entwicklungen im vergangenen Jahr verdeutliche aber auch, dass die Zukunft des F&B-Sektors eng mit den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen verwoben sei; „die Menschen brauchen die Möglichkeiten der Kontakte und die Gastronomie ist die Lebensader“.

Die politische Landschaft spiele dabei eine entscheidende Rolle, so Nierhaus, der die gestiegene Mehrwertsteuer für Essen in deutschen Restaurants kritisiert. Wenn es den deutschen Gastronomen nicht gelinge, die Mehrwertsteuererhöhung an die Gäste weiterzugeben, seien Existenzen bedroht. Und es stelle sich die Frage, ob die Gäste sich diese Gastronomie leisten können, „da viele selbst mit finanziellen Unsicherheiten kämpfen, die aus der Krise und Kostensteigerungen resultieren“. Besonders in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) zeige sich eine gewisse „Konsumzurückhaltung“, denn hier investierten Konsumenten eher in Hardware statt in Genuss – im Gegensatz zum mediterranen Kulturkreis.

Die Prognose des Trendexperten für 2024: „Die Gastronomie hat es nicht einfach, insbesondere die Individualgastronomie. Zukünftig kommt es auf zwei Faktoren an: Optimistisch die Zukunft auch strategisch planen − dazu gehört auch Nein zu sagen, zu vereinfachen, und sich klarer zu positionieren.“

Plant based Produkte erfahren eine wachsende Nachfrage.

Food & Beverage im Wandel

Im ersten Kapitel des Trendreports geht es um den Wandel im Bereich Food & Beverage. Unter dem Motto „Glocal“ erlebe man eine Weltreise zuhause – die Fusion von globalen Rezepten und lokalen Zutaten.

Als wichtigsten Treiber beschreibt Nierhaus die Nachhaltigkeit. Verbraucher seien zunehmend bereit, mehr für qualitativ hochwertige und nachhaltig produzierte Lebensmittel zu zahlen, erklärt er. Die Branche habe diesen Trend erkannt und reagiert. Vermehrt setzten Restaurants sogar auf ausschließlich vegane Küche. Neu sei die Ernährungsform pescetarisch, die vegetarisch ausgerichtet sei, aber auch den Genuss von Fischen und Meeresfrüchten beinhalte.

Interessantes berichtet er auch über Plant based Produkte: Diese erfahren zwar eine wachsende Nachfrage, es gebe aber auch kritische Stimmen. So seien einige Ersatzprodukte mit übertriebenem Hype bereits wieder vom Markt verschwunden.

Jeder Mensch isst anders – Trend Individualität

Das zweite Kapitel widmet der Trendexperte der Individualisierung. Menschen suchten vermehrt nach personalisierten Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten und dieser Wunsch nach Individualität spiegle sich auch in den Essgewohnheiten wider. Vor allem die Individualgastronomie profitiere von diesem Trend und integriere den Wunsch nach Einzigartigkeit in ihr gastronomisches Konzept. Gastfreundschaft, gepaart mit einem unverwechselbaren kulinarischen Angebot, werde zum Alleinstellungsmerkmal. Dabei spiele die Digitalisierung eine Schlüsselrolle. Durch den Einsatz von Technologien wie KI und dem Metaverse könnten personalisierte Erlebnisse geschaffen werden.

Gastfreundschaft wird – in Kombination mit einem unverwechselbaren kulinarischen Angebot – zum Alleinstellungsmerkmal.

Alles anders − neue Sortimente, neue Ideen, neue Regeln

Mit dem Wandel der Gastro-Landschaft einher gehe auch der Wandel von Konzepten und Distribution, so Nierhaus. Monokonzepte – beispielsweise von jungen, aufstrebenden Ketten in der Welt der Snacks – seien oft nicht nur Trends, sondern auch die Lösung für Wirtschaftlichkeit. Vorausgesetzt man finde die richtige Nische.

Ein weiteres Konzept: Sharing, also das Teilen und gemeinsame Genießen von Gerichten. Das mache den Gästen Freude und steigere das Erlebnis, erklärt der Trendexperte. Wichtiger denn je sei auch das Design. Dieses müsse dem Konzept entsprechen und instagramable sein.

Eine weitere Aussage: Automaten werden zu einem wichtigen Bestandteil des gastronomischen Angebots, ob im Hotel, in der Verkehrsgastronomie oder in Foodhalls (Vending).

Und Hotels seien universelle Lebensräume, in denen gewohnt und gearbeitet werde. Sie verfügten über F&B-Outlets, Sport- und Freizeitangebote für Hotelgäste und Locals. „So werden sie zum Kulturplatz und Treffpunkt für die Nachbarschaft.“

Gerade bei der jüngeren Generation muss das Essen instagramable sein.

Die Welt ganz nah: Hotel & Travel

Hotel & Travel ist das vierte Kapitel des Trendreports überschrieben. „Besonders Deutsche sind viel unterwegs und werden voraussichtlich auch in den Jahren 2024/25 reisefreudig bleiben“, prognostiziert Nierhaus.

Er thematisiert auch die Problematik des Übertourismus, die in Städten wie Venedig mit einer „Tagessteuer“ von 5 Euro für Tagesgäste angegangen wird. Amsterdam plane ähnliche Maßnahmen auf seinem Weg zur Kultur-, Food- und Familienstadt und wende sich mit seiner „Stay Away“-Kampagne an junge, partywütige Briten. Auch Barcelona kämpfe gegen den Touristenansturm: „Schifffahrt und Kreuzfahrt setzen vermehrt auf nachhaltige Lösungen, darunter der Einsatz von Wasserstoff.“

Nierhaus ist sich sicher, dass auch Geschäftsreisen ein Comeback erleben, jedoch seltener, teurer und länger werden durch die Bündelung von Terminen. Hinzu komme die unkalkulierbare Kurzfristigkeit der Buchungen. Innovative Konzepte wie Bäckereien, welche die Hotelgastronomie oder sogar ganze Hotels betreiben (Coffee Fellows), zeigten die Diversifizierung der Branche.

Shopping & Lifestyle

Rettet Gastronomie die Innenstadt?, fragt Nierhaus im fünften Kapitel. Ein Jahrzehnt des Wandels habe die Art und Weise, wie Menschen einkaufen und ihre Freizeit verbringen, grundlegend verändert. Inmitten dieses Umbruchs habe sich die Verbindung zwischen Shopping und Lifestyle-Gastronomie als entscheidender Kulturbeschleuniger erwiesen.

Auch Supermärkte würden zunehmend zu Erlebnisdestinationen; mehr noch: zu einem sozialen Treffpunkt. Das Einkaufen werde zum Ausgeh-Erlebnis, bei dem Menschen nicht nur Produkte erwerben, sondern auch die Zeit im Supermarkt genießen.

Das Kino habe während der Pandemie gelitten und werde laut Nierhaus nie zur alten Stärke zurückkehren. Ausnahme seien Luxuskinos, wie die der ASTOR-Gruppe, die zum Gemeinschaftserlebnis auch ein gehobenes kulinarisches Erlebnis bietet.

Und auch Erlebnis- und Themenparks seien nicht nur für Nervenkitzel, Achterbahnen und Attraktionen bekannt, sondern auch für ihre vielfältigen gastronomischen Angebote.

Snack, Bakery, Verkehrsgastronomie

„Unterwegs genießen – überall und jederzeit“ lautet das Motto des sechsten Kapitels. „In einer Welt, die immer mobiler wird, gewinnt die Verpflegung unterwegs an Bedeutung“, so Nierhaus.

Als wichtige Akteure beschreibt der Trendexperte die Bäcker, die längst nicht mehr nur Meister des Brotes und der Brötchen seien. „Als Gastrobäcker werden sie zu wahren Snack-Profis“, so Nierhaus. Ihre Fähigkeit, pragmatisch zu produzieren und dabei oft besser zu kalkulieren als mancher Gastronom, mache sie zu wichtigen Akteuren in der Verpflegung unterwegs.

Doch auch große Ketten prägten das Bild. Es gebe immer mehr regionale Bäckereigruppen mit einer zentralen Produktion und mehreren Filialen.

Zunehmend relevant werde die Verbindung von Elektromobilität und Verpflegung: „Unternehmen wie McDonald’s fördern Ladestationen an ihren Filialen, während Burger King geschickt Ladestationen in sein Snackkonzept integriert. Eine perfekte Symbiose: 30 Minuten für Snack und Ladeservice.“

Als wichtige Akteure beschreibt der Trendexperte die Bäcker, die längst auch Snack-Profis sind.

Storytelling und Erlebnisse

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Erlebnisse machen Kasse. Nierhaus: „Heute zahlen Menschen für Erlebnisse anstatt für materielle Dinge.“ Mit Storytelling erreiche, begeistere und bewege man Menschen. Beim Kauf sei das „Warum“ entscheidend und Geschichten seien ein wirksames Mittel, um Sinn und Bedeutung zu vermitteln. Als Beispiel nennt der Trendexperte das Gut Immenhof, das Bezüge zum Filmklassiker „Ferien auf dem Immenhof“ herstellt und für die Marke nutzt.

Im Sternerestaurant Haoma in Bangkok erlebe man Nachhaltigkeit mit allen Sinnen, könne Dinge anfassen, riechen, schmecken, nennt er ein weiteres Beispiel: „Tafeln erklären anschaulich die nachhaltige Bauweise und Produktion der Lebensmittel, wie Energie eingespart und Mitarbeiter eingebunden werden.“ Auch Digitalisierung und Augmented Reality halte hier immer mehr Einzug.

Cashback Nachhaltigkeit

Um Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Verantwortung dreht sich ein weiteres Kapitel. Im Zeitalter der globalen Erwärmung und Umweltveränderungen werde der Ruf nach nachhaltigen Praktiken immer lauter – vor allem in der Gastronomie. Was jetzt noch als Alleinstellungsmerkmal gelte und Sympathien bringe, werde in zwei Jahren als Grundvoraussetzung angesehen, so Nierhaus.

Der Fokus liege nicht nur auf materiellem Abfall, sondern auch auf der Vermeidung von Ressourcenverschwendung wie bei „Too good to go“. Auch sei die Suche nach alternativen Kreislaufsystemen und innovativen Materialien in vollem Gange. Unternehmen investierten zudem in Forschung und Entwicklung, um nachhaltigere Produktionsweisen zu etablieren und den ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Nachhaltigkeit, so Nierhaus, betreffe alle Aspekte des Unternehmens, einschließlich der Herkunft von Lebensmitteln, den Reinigungspraktiken, des Umgangs mit Mitarbeitern und der Wahl von Partnern.

Voice, Wearables, KI und QR-Codes

Nierhaus widmet sich in seinem Trendbericht auch den Veränderungen, die die KI mit sich bringt. Das Smartphone dominiere die Kommunikation und sei das zentrale Steuerungstool für alle Bereiche. Die Erreichbarkeit und die Fähigkeit zur sofortigen Reaktion seien entscheidend. QR-Codes seien dabei oft das Bindeglied zwischen physischer und digitaler Welt, die Verwendung von Smartphones und Wearables werde weiter zunehmen und die Einführung von Smart Glasses komme in naher Zukunft.

Gerade für Klein- und Mittelbetriebe biete KI die Chance, den kompletten Betrieb und nicht nur einzelne Bereiche anhand von Kennzahlen und Auswertungen zu steuern.

Bei all den Vorteilen der KI, die Nierhaus nennt, sagt er auch: „Die Begeisterung für Roboter im Service nimmt ab, denn Menschen wünschen sich ein Gesicht“. Im Kommen sieht er hingegen den Kochroboter – neben den Robotern bei der Reinigung sowie bei der Logistik. Und im Delivery-Sektor gebe es den ersten Lieferroboter, der die Speisen auf dem Weg zum Kunden in der Maschine produziert.

Die Verwendung von Smartphones und Wearables wird laut Nierhaus weiter zunehmen. QR-Codes beschreibt er als Bindeglied zwischen physischer und digitaler Welt.

Das WIR gewinnt – Mitarbeiter

Das letzte Kapitel widmet Nierhaus den Mitarbeitern eines Unternehmens. Bei ihnen beginne die Kundenorientierung, erklärt er. Zufriedene und engagierte Mitarbeiter seien die besten Botschafter für ein Unternehmen. Ihre Begeisterung übertrage sich auf die Kunden und schaffe eine positive Atmosphäre.

Der sich wandelnde Arbeitsmarkt, Personalknappheit und neue Zuwanderung erforderten eine Anpassung an neue Realitäten. Die Digitalisierung habe nicht nur unsere Arbeitsweise, sondern auch die Art und Weise, wie neue Mitarbeiter integriert werden, verändert. Ein effizientes digitales Onboarding-Programm erleichtere den Einstieg ins Unternehmen und beschleunige die Integration von neuen Talenten. Althergebrachte Hierarchien und Lehrmethoden müssten überdacht und an die modernen Anforderungen angepasst werden. Die gerechte Entlohnung beschreibt Nierhaus als weiteren entscheidenden Schritt in Richtung einer ausgeglichenen und stabilen Arbeitswelt.

Die Förderung von Frauen in Führungspositionen sei nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern trage auch wesentlich zur Vielfalt und Dynamik in der Gastronomie und anderen Branchen bei. „Mehr Frauen in leitenden Positionen bedeutet auch mehr Vielfalt in der Denkweise und in der Art und Weise, wie Unternehmen geführt werden“, so der Trendexperte.

PIERRE NIERHAUS

Pierre Nierhaus ist Trendexperte für Hospitality und Lifestyle. Weltweit recherchiert er nach Konzepten und Veränderungen – auch in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Die daraus folgenden Erkenntnisse macht er nutzbar für die Hospitality Branche, speziell im deutschsprachigen Raum. Er beobachtet 30 Metropolen weltweit und nimmt mehr als 20 Mal im Jahr interessierte Profis mit auf seine Trendexpeditionen. Pierre Nierhaus ist spezialisiert auf Innovationsworkshops, Konzept- und Strategieberatungen. Er hält Vorträge und hat vier Bücher veröffentlicht.

Hier geht es zum Download des Trendreports 2024/25.

Fotos: Pierre Nierhaus / Titelbild: Joppen
Text: Nicole Beuther
21. Februar 2024
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